Jahresrückblick 1956
Interview mit unserem Stern - ein besinnlicher Rückblick auf die wichtigsten Ereignisse des Jahres 1956. Sprecher spricht vor Weltkugel zum neuen Jahr. Raketen, Geschützfeuer.
1. Unruheherd Algerien - NDW 353/3
2. Unruheherd Zypern - NDW 335/4
3. Suez-Krise mit Suez-Konferenz - NDW 343/1, NDW 335/2, NDW 356/2, UFA 4/3, UFA 16/2, UFA17/2
4. Moskau: Stalin-Götterdämmerung - NDW 322/1
5. Moskau
Besuch Schah von Persien und Soraya - WIB 210/2 Besuch Staatspräsident Mollet/ Frankreich - NDW 330/2, WIB 204/2 Besuch Tito - NDW 332/2, WIB 206/1 Besuch des japanischen Ministerpräsidenten Hatoyama - NDW 351/4
6. Polen: Gomulka wird Staatssekretär - Der neue Kurs - NDW 352/2, UFA 13/2
7. Ungarn
Der Volksaufstand - NDW 354/1, UFA 15/1, NDW 355/1, UFA 16/2 Ungarn-Flüchtlinge - NDW 357/1, UFA 18/1
8. Vatikan: Friedensbotschaft des Papstes - UFA 16/5
9. Hirnforschung - NDW 323/7
10. Automation, Raketenflüge - NDW 331/1+2, WIB 199
11. Hiroshima: Opfer der Atombombe - NDW 343/1, UFA 4/1
12. Atomreaktoren - NDW 352/1
13. Jugoslawien: Überschwemmung der Donau - NDW 319/1, WIB 193/ 5
14. USA: Untergang der Andrea Doria - NDW 340/1, UFA 1/11
15. Belgien: Grubenunglück von Marcinelle - NDW 342/ 2, UFA 3/1
16. Bundesrepublik: Rückeingliederung der Saar-Vertragsunterzeichnung - NDW, 353/4
17. Bonn: Wehrdebatte - NDW 337/1, WIB 211/1
18. Registrierung von Wehrpflichtigen - NDW 351/3
19. Adenauer bei der Bundeswehr - NDW 313/1, WIB 187/1
20. Vereidigung von Freiwilligen der Bundeswehr - NDW 337/2
21. Manöver der Bundeswehr - NDW 355/5
22. Weltmeisterschaft Rock'n'Roll - NDW 347/8
23. Wien: Opernball - NDW 316/1
24. Hochzeiten
Rainier von Monaco und Gracia- NDW 326/2, WIB 200/1 Herzog Georg von Mecklenburg und Charlotte von Habsburg Lothringen - NDW 340/4 Erzherzog Josepf von Habsburg und Prinzessin Maria von Löwenstein - UFA 8/3
25. Karneval - NDW 316/11, WIB 190/8
München
Oktoberfest - NDW 348/9, UFA 9/6 Kehraus - UFA 11/6
27. Cortina: Olympische Winterspiele NDW 314/1, WIB 188/14, NDW 315/2, WIB 189/10
28. Schweden: Olympia der Reiter - NDW 334/9, WIB 208/10
29. Melbourne: Olympiade in Melbourne - Eröffnungsfeier
Interview mit unserem Stern
(Ein Rückblick der UFA-Wochenschau)
Zehn Minuten wollen wir uns mal Ruhe gönnen. Zehn Minuten nur von den 8784 Stunden des Jahres 1956. Mit Sternstunden waren wir nicht gerade gesegnet und im übrigen gab es kaum noch himmlische Aussichten. Wenn man nämlich bedenkt, wie dicht der Mars zur Erde rückte ... astronomisch zwar ganz interessant, aber politisch ziemlich übel.
Die Konstellationen der Völker untereinander waren kaum als günstig zu bezeichnen. Das Gespenst des Nationalismus ging um die Welt mit Krisen, Unruhen und Revolten. In Zypern, Algerien und anderswo.
Der Brandherd im Mittleren Osten bekam immer neue Nahrung, und plötzlich gab es ein neues Schlagwort: Suez !
Die wichtige Weltwasserstraße wurde von den Ägyptern in eigene Regie übernommen und der Regisseur des nationalen Dramas wurde stürmisch gefeiert. Das Land am Nil machte sich stärker als erforderlich war. Zuerst war man sprachlos. Dann vereinigten sich England und Frankreich zu ergebnislosen Gesprächen. Kurze Zeit später sprachen die Waffen. Israelische Truppen drangen in Ägypten ein. Darauf folgte die anglo-französische Invasion.
Flugzeuge stiegen auf. Es fielen wieder Bomben. Der dritte Weltkrieg war näher als viele es wahrhaben wollten. Und die Hauptlast des großen Konflikts lag wieder einmal vor der Tür des kleinen Mannes.
Wer gesiegt hat, weiß keiner. Vielleicht die UNO. Sie wurde aktiv, ließ Taten sehn und sorgte damit für eine historische Überraschung.
Eine eigenartige Überraschung hatte der Kreml parat. Väterchen Stalin war plötzlich nicht mehr Väterchen Stalin. Seinem Geist wurde auf der ganzen Parteilinie abgeschworen. Die neuen Herren verfochten eine Strategie des Lächelns. Aber das neue Etikett auf der alten Marke war trotzdem nicht jedermanns Sache.
Die Sowjetregierung entwickelte eine geradezu orientalische Gastfreundschaft. Von einem milderen Ostwind angelockt kam die halbe Welt nach Moskau. - Selbst einem Trotzkopf wie Tito wurde der Hof gemacht. Aber langsam sprach sich herum, daß die sowjetischen Satelliten nicht mehr in festen Bahnen um den roten Fixstern kreisen.
Polen erlebte einen fast lautlosen Aufstand der Massen, und das Streben nach nationaler Unabhängigkeit, das sich in der Person Gomulkas manifestierte, wurde auch in Ungarn zum Angelpunkt einer neuen Bewegung. Die Magyaren griffen zu den Waffen. Und was hier anfangs nur wie eine Revolte gegen den Stalinismus erschien, wurde zu einer erbitterten Revolution gegen den Bolschewismus schlechthin.
Die Ungarn entfachten einen Freiheitskampf, wie er in der Geschichte nur wenig Beispiele kennt. Die sowjetischen Panzer gaben die Antwort. Sie steht im düstersten Kapitel dieses Jahres.
Noch nie hat es soviel Proteste gehagelt. Noch nie waren sie so scharf wie diesesmal. Vor vielen sowjetischen Botschaften brannte die Flamme der Empörung.
Und dann die Flucht über die Grenze. So entstanden jene Bilder, die man eines Tages vielleicht als Symbole unseres Jahrhunderts bezeichnen wird: Die Heimatlosigkeit als Preis für das nackte Leben.
Viele Stimmen sind laut geworden. Appelle an die Vernunft der Menschen. Aber was wissen wir schon über die menschliche Vernunft ? Auch die Gehirnforscher stehen am Ende nur vor einem oberflächlichen Abbild organischer Funktionen.
Die Techniker feierten ein anderes Gehirns das Elektronengehirn der Automation. Der Mensch wurde zum Spielball seiner eigenen Erfindung. Man hat uns die "denkenden" Raketen beschert und eine versteckte Drohung offen ausgesprochen: Raketen auf menschliche Städte.
Eine andere Drohung wurde Wirklichkeit: die Todesstrahlen der Wasserstoffbombe, die wie eine schleichende. Krankheit um den Erdball wandern.
Die friedlichen Atomwerke lieferten erstmalig Elektrizität, Aus einer Handvoll Uran, in dem Schrecken und Hoffnung so eng beieinander liegen.
Im Vergleich zu dem, was Menschen selber vermögen, erscheinen die Naturkatastrophen des Jahres beinahe harmlos, denn auch beim härtesten Winter wissen wir, daß er vorübergeht.
Das blinde Vertrauen in die Unfehlbarkeit menschlicher Werke war mit die Ursache einer furchtbaren Ozeantragödie: der Untergang der Andrea Doria.
Und eine zweite Tragödie erregte die Anteilnahme der Welt: das grauenhafte Grubenunglück bei Marcinelle, in der Zeche 'Zum bitteren Herzen'.
Mit einem lachenden und einem weinenden Auge ging Deutschlands Innenpolitik über die Runden. An der Saar fiel endgültig die Entscheidung und nach langem Hin und Her wurde abgemacht: dieses Gebiet bleibt deutsch.
Während man sich hier die Hände reichte, liegt noch immer der trennende Stacheldraht zwischen West- und Mitteldeutschland. Elf Jahre nach Ende des Krieges.
Elf Jahre nach der bedingungslosen Abrüstung war die Wiederaufrüstung Thema des Bundes-Tages. Das Wehrgesetz wurde zu einer beschlossenen Sache.
Der Jahrgang 37 rückte ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Die ersten Wehrpflichtigen wurden registriert. Die ersten Freiwilligen ihrer neuen Umgebung angepaßt. Es folgten die ersten Inspektionen. Und die ersten Manöver.
Und immer noch Jahrgang 37, dem anstelle der Marschmusik ein völlig anderer, umstrittener Rhythmus in den Knochen steckt. Denn die beliebteste Parade war die Schlagerparade des Rock'n'Roll.
Manchmal benahmen sich die Jugendlichen problematischer als es die Polizei erlauben konnte; aber alle Worte, die man darüber verlor, waren weitaus verlorener als die Jugend selber. Das alles geht nämlich nur solange, bis das Pulver verschossen ist. Eine Generation weiter und man besinnt sich wieder auf die Tradition der Väter, die auch in diesem Jahr zu neuem Leben erwachte.
Niemand kann behaupten, die angenehmen Seiten des Lebens seien 1956 vernachlässigt worden. Die Zahl der Eheschließungen hat einen beachtlich hohen Stand erreicht.
Eine amerikanische Filmschauspielerin avancierte zur europäischen Fürstin. An Schönheitsköniginnen wurde nicht gespart, sondern hübsch verdient. Und im Zeichen des Wirtschaftswunders entstand die wundersame Frühjahrskollektion für das Jahr 2000.
Wir können es ruhig eingestehen: ausgerechnet in diesem Jahr wurden so viele Feste gefeiert wie nie vorher. Kein Anlaß war zu gering. Jedes Thema war recht und keines traurig genug. Die Mastgans des allgemeinen Vergnügens wurde tüchtig vollgestopft. Der absolute Lustbarkeitsrekord war kaum noch zu überbieten. - Kein Wunder, daß viele dabei nie zur Besinnung kamen, kein Wunder, daß mancher dabei die Besinnung verlor.
Hoffnungen wurden am laufenden Band geweckt. Dreimal erklangen die Olympia-Fanfaren und riefen die Jugend der Welt zum Fest des Friedens. Es begann in Cortina, wo sich insbesondere zwei Sportler einen goldenen Namen machten: Ossi Reichert und Toni Sailer. Es führte über Stockholm, wo der erregendste Ritt aller Reiterspiele, der Ritt von Hans-Günther Winkler war.
Und es endete in Melbourne, wo sich alle Athleten im olympischen Geist zusammenfanden. Als Hoffnung bleibt uns, daß sich an dieser Idee vielleicht auch das politische Geschehen der kommenden Jahre entzündet, vielleicht sind diese Olympischen Spiele der Auftakt zu einer Olympiade des Friedens ... Die Garantie dafür gibt uns keiner, aber es käme wie immer auf einen Versuch an. Und eben deswegen Prosit. Und auf ein Neues!