Ein ganzes Jahr und noch viel mehr - Zum Sehen geboren - zum Schauen bestellt
Kunstwerk zum Durchsehen. Modevorführung. Moderner Künstler. Mobile. Hund erklettert Leiter. Storch sitzt auf Nest. Leute erheben ihre Gläser. Hochzeit Prinz Albert von Belgien und Prinzessin Paola. Hochzeit des japanischen Kronprinzen Akihito. Hochzeit auf dem Hochseil. Schild an Tür No disturb: Schimpansenbaby trinkt aus Flasche. Atom-Schutzkleidung. Schönheitsmaske. Affe laust Menschenhaar. Friseurin nimmt Modellkopf von Gestalt. Dicker Esser. Dicker wird massiert. Schönheitsmassage. Mann sitzt vor Wasserfall und lässt sich besprühen. Junge Frau liegt am Strand. Zeitungsschlagzeile: Hitze Thema Nr. 1. Aufgebrochene Erdspalten. Weintrauben. Einkleiden Soldaten mit zu großer Mütze. Fasching mit feuersprühendem Drachen. Faschingswagen mit Busendame Bonn-Berlin. Pamplona Stiere. Autoverkehr. Babyschaukel. Schwertertanz, Castro-Rede, Negertanz, Polizei und Demonstranten prügeln. Widder-Kopf-Stöße. Hahnenkampf. Boxkampf Scholz - Müller: Artistin mit Hund. Weltraumbild. Gebiß klappert. Frauen-Hochsprung. Frau springt in Wasser bei Stangenspringen. Rock´n´Roll. Rennauto überschlägt sich. Karussellfahrt. Luftkissengleiter, Kugelstoßer, Diskuswerfer. Bewegungen Peter Kraus beim Singen: O-Ton: "Das ist der Rhythmus unserer Zeit". Fans. Blumen werden überreicht.
(79 m)
01. Der alte und der neue Bundespräsident
Theodor Heuss mit Pudelmütze und Heinrich Lübke mit Schiffermütze auf Schiff. Heuss im Urlaub beim Malen der Akropolis. Heuss wird Sheriff-Stern angesteckt. Heuss wird Ehrendoktorwürde verliehen. Huttrottel fällt ihm ins Gesicht. Heuss und Elizabeth II. Heuss zum 80. Geburtstag von Otto Hahn O-Ton: " ... wo ich Otto Hahn fast einen Kuß gegeben hätte. Das war 1950 in Köln nach Weizsäckers Vortrag in einer Hotelhalle, wie Sie begreifen nicht gerade der richtige Ort, wo ältere Herren sich in überraschenden Intimitäten begegnen. Hahn gestand: Ich bin ja nur Oberrealschüler ... Aber solche Männer wie Sie, lieber Oberrealschüler Hahn, kann das Vaterland von diesen Bildungsanstalten nicht genug erhalten." Heuss küsst Hahn: Heuss' Abschiedsrede vor den deutschen Sportlern O-Ton: "Als ich Bundespräsident geworden war, hat meine Frau, die eine kluge Frau war, mir gesagt: Du wirst einen herben Kampf zu führen haben gegen den eben im Jahr 48/49 gefundenen Schlager "Der Theodor steht im Fußballtor". Ich habe ihr gesagt: Liebe Elly, keine Sorge, damit werd' ich fertig. Die andren haben dann dummerweise gemeint, er stehe im Bundestor - also na, ich bin vielleicht auch im Bundestor gestanden. Ich bin zwar kein trainierter aber immerhin ein einigermaßen geschickter Torwächter gegenüber manchem gewesen in diesen 10 Jahren." Bundestag. Die Abgeordneten erheben sich. Eugen Gerstenmaier O-Ton: "Theodor Heuss hat sich um das Vaterland verdient gemacht." Sein Nachfolger Dr. Heinrich Lübke.
(72 m)
02. Der Nervenkrieg um Berlin
Wachturm. Stacheldraht. Das Brandenburger Tor. Stalinallee. Chruschtschow in Ostberlin O-Ton (Übersetzer): "In Berlin muß eine Ordnung geschaffen werden, die den Friedensbestimmungen, den Friedensbestrebungen der Berlinerinnen und der Berliner entspricht. Liebe Genossen, wir haben unsere Vorschläge unterbreitet. Wir warten auf die Antwort." Willy Brandt bei Massenkundgebung O-Ton: "Der Tag wird kommen, an dem das Brandenburger Tor nicht mehr an der Grenze liegt. Macht das Tor auf! Macht Schluß mit der widernatürlichen Spaltung!" Gedächtniskirche. Verkehrspolizist regelt den Verkehr. Fußgänger. Autos. Hansaviertel, Grenzschild Achtung Sie verlassen jetzt Westberlin. Zonengrenze durch Wasserlauf. Trümmer. Arbeiter-Wehrtruppen bei Übung. Reichstag. Modepuppe in Schaufenster. Denkmal für Arbeiterin. Ostbauten. Schwenk über Massen. Ernst Reuter O-Ton: "Ihr Völker der Welt, ihr Völker in Amerika, in England, in Frankreich, schaut auf diese Stadt und erkennt, daß ihr diese Stadt und dieses Volk nicht preisgeben dürft, nicht preisgeben könnt." Sonnenuhr in Genf. Außenministerkonferenz. Osttruppen paradieren. Besuch Nixon in Moskau. Umarmung Chruschtschow mit Ulbricht, mit Grotewohl, mit Gomulka, Küsse ... Küsse ... Küsse. Chruschtschow geht mit Blumenstrauß Flugzeugtreppe hinauf.
(89 m)
03. Besuch Chruschtschow in den USA
Gespräche Chruschtschow mit Eisenhower. Chruschtschow in Landwirtschaftsausstellung, in Hollywood. Demonstranten gegen den Besuch mit Plakaten.
(20 m)
04. Friedensreise Eisenhower
Eisenhower in Rom, Vatikan, Pakistan, Indien. Jubel.
(26 m)
05. Die rote Expansion in Asien
Flüchtlinge aus Tibet. Flucht des Dalai Lama. Laos: Kommunistische Übergriffe. Kämpfe an der Grenze. Indien: Demonstration gegen Eindringlinge aus Rotchina. China: Mao Tse Tung nimmt Parade ab. Chinesische Menschen in Peking. Kinder. Stadtbild Peking. Aufbau. Massen bei der Arbeit und bei Produktion. Kinder in Schule. Soldaten.
(55 m)
06. Der Vorstoß zu den Sternen
Slums. Weinende Kinder. Weltraumaffen beim Training. NASA. Raketenabschuß. Weltraumhund. Schwerelosigkeitsversuche mit Menschen. Menschengesichter, groß, ernst und betroffen. Zwei alte Menschen gehen auf der Straße. "Der Mond ist aufgegangen, die goldnen Sternlein prangen am Himmel hell und klar. Der Wald steht schwarz und schweiget, und aus den Wiesen steiget der weiße Nebel wunderbar." Mond Sternenhimmel Weltraumflieger, Rakete. Cape Canaveral. Raketenabschüsse. Atompilz, Fluggeschwader. "Wie ist die Welt so stille und in der Dämmerung Stille so traulich und so hold, wir spinnen Luftgespinste und suchen viele Künste und kommen weiter von dem Ziel." Die Berliner Sängerknaben singen: "Verschon uns Gott mit Strafen und laß uns ruhig schlafen und unsern kranken Nachbarn auch."
(90 m)
Ausser Archivmaterial verwendete Auslandsnummern:
Eisenhower und Chruschtschew
Herkunft: Metro, Metro, Vis News
Taifun über Japan
Herkunft: Sovkino
(Rückblick)
Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt! Das klingt als Feststellung mindestens ebenso bedeutend wie als Entschuldigung. Aber wer empfindet den Vorwurf der Schaulust schon als gerechtfertigten Tadel? Wir wollen sehen und wir verlangen nach optischen Reizen! Unser Auge ist ebenso gierig wie unersättlich! Wir wollen uns satt sehen und jeder Augenschmaus fordert das Neue, Bizarre, das Kuriose und das Ungewöhnliche als Würze des Alltäglichen.
Wenn wir am Ende eines Jahres stehen, wenn die bildhaft gewordene Zeitgeschichte an uns vorüberrollt, dann starren wir gleichermaßen gepackt wie gepeinigt in die Flut dieser Bilder, in der unser optisches Fassungsvermögen hilflos untergeht. Wir haben vieles gesehen, wir haben vieles wahrgenommen, aber die Zeit, die Dinge und uns zu betrachten, die hatten wir nicht.
Zugegeben, man kann die Dinge so sehen und man kann sie so sehen. Die einen stöhnten unter der Hitze, die Bauern waren verzweifelt, die Weinbauern waren begeistert! Versuchen Sie aber, Bilanz zu ziehen, versuchen Sie, alles unter einen Hut zu bringen und Sie werden erkennen, wie schwer das Unwesentliche vom Wesentlichen zu trennen ist. Wer möchte heute noch entscheiden, wo der Spaß ein Ende hatte und wo der Ernst begann.
Versuchen wir, das Jahr 1959 zu überblicken ... und da fliegen auch schon die Fetzen der Erinnerung vorbei:
Ein Aufstand wird niedergeschlagen
Ein Volksheld agitiert
Ein Negerstamm feiert
Eine Meinungsverschiedenheit wird beigelegt.
Bilder eines Jahres, die im Zeitraffer des Rückblicks nur noch verwirrender sind.
Nun, wir haben durchaus nicht die Absicht, Ihnen das Jahr 1959 in optischen Sensationsnummern zu präsentieren, obwohl, ja, obwohl man manchmal durchaus der Meinung sein kann, daß wir in einer Zeit leben, in der einem sehr leicht sowohl das Hören als auch das Sehen vergeht.
(O-Ton)
Aber fangen wir an zu sichten, fangen wir an, die Schwerpunkte zu suchen und beginnen wir damit, daß in diesem Jahr - wir können es ohne Übertreibung sagen - eine Ära zu Ende ging: die Ära Theodor Heuss. Zehn Jahre lang haben wir ihn auf allen Stationen seiner Präsidentschaft begleitet und die liebenswürdigen Dokumente, die er uns dabei hinterließ, berichten von menschlicher Größe und von großer Menschlichkeit. Unübertroffen jedoch bleibt die Filmaufnahme zum 80. Geburtstag des Nobelpreisträgers Otto Hahn.
(O-Ton)
Kurze Zeit später: seine Abschiedsrede vor den deutschen Sportlern.
(O-Ton) Der Dank an Theodor Heuss ließ sich in einem einzigen Satz zusammenfassen:
(O-Ton) Und alle Wünsche und Hoffnungen begleiteten seinen Nachfolger: Dr. Heinrich Lübke.
Als Jahr einer sich vertiefenden Spaltung wird 1959 eines Tages in unseren Geschichtsbüchern verzeichnet sein. Monatelang dauerte der Nervenkrieg um Berlin und unvergeßlich bleibt uns das-gespenstische Auftreten des sowjetischen Ministerpräsidenten auf der nächtlichen Stalinallee in Ost-Berlin.
(O-Ton) Die Chronik Berlins wird für spätere Generationen vielleicht das erregendste Kapitel in der deutschen Geschichte sein. Und die Menschen, die hier wie zufällig ins Bild gekommen sind, sie alle werden eine entscheidende Rolle dabei spielen.
Die schwungvollen Architekturen des Hansaviertels, die auf ihrem vorgeschobenen Posten zur Sektorengrenze hin, wie Denkmäler des Selbstvertrauens wirken, werden schließlich zu Kronzeugen eines bitteren Kontrastes, eines Kontrastes, von dem wir hoffen, daß er eines Tages überwunden wird, weil diese Grenze eine politische, eine wirtschaftliche, eine ideologische Grenze ist und keine Grenze zwischen Menschen.
Im Angesicht der östlichen Welt, die sich hier bereits mit Bauwerken und Begriffen realisieren will, bleibt der Notruf eines Ernst Reuter nach wie vor von beklemmender Aktualität: (O-Ton)
Berlin wurde nicht preisgegeben. Es war allerdings schon fünf Minuten vor 12 als sich die Genfer Außenministerkonferenz darauf einigte, das Berlinproblem einer Gipfelkonferenz zu überantworten. Die sowjetische Drohung war damit auf Eis gelegt.
Als Eisbrecher Nr. 1 trat der amerikanische Vizepräsident Nixon auf. Sein Besuch bei den Gewaltigen des Kreml war ebenso außergewöhnlich wie erfolgreich. Nikita Chruschtschew war wie verwandelt. Von Stund an - so schien es - war er bestrebt, die Liebenswürdigkeit in Person zu sein.
Durch seinen Besuch in den USA wurde Chruschtschew zum meistfotografierten Mann des Jahres. Die Verständigung mit den Photografen klappte ausgezeichnet, was allerdings die Verständigung mit Präsident Eisenhower anbetrifft, so sprach man in den entscheidenden Punkten wohl hartnäckig aneinander vorbei.
Es ist ein onkelhafter Chruschtschew, der sich in diesem Jahr lächelnd ins Bild setzt, aber wo immer Politiker lächeln besteht die Gefahr, daß ein leutseliges Mienenspiel die Realität der Geschehnisse verkleinert und vergessen macht.
Politische Reisen wurden 1959 groß geschrieben und die kleine Weltreise des amerikanischen Präsidenten war ein Unternehmen, über dem das Wort Hoffnung stand.
Der Weg zu einer Gipfelkonferenz führte über fast 36tausend km und durch insgesamt 11 Länder. Pakistan und Indien, das sich heute mehr als je zuvor einer kommunistischen Expansion gegenüber sieht, bereiteten Eisenhower einen triumphalen Empfang.
Die Vorgänge im asiatischen Raum lagen auch in diesem Jahr im Zentrum der Weltpolitik. Der uralte Priesterstaat Tibet erlebte ein ähnliches Schicksal wie Ungarn. Unter den Flüchtlingen, die sich dem Zugriff Pekings entziehen konnten, befand sich auch das geistliche Oberhaupt aus Lhasa, der Dalai Lama.
In Laos verteidigten die Einwohner ihre Grenzen gegen kommunistische Übergriffe. Und in Indien protestierte die Bevölkerung gegen Eindringlinge aus dem Roten China.
Der rote Massenstaat - wirtschaftlich unterstützt von Moskau - beginnt, sich auszudehnen. 650 Millionen Chinesen, die sich Monat für Monat um eine weitere Million vermehren, zwingen uns zur Nachdenklichkeit.
Es erfordert unsere ganze politische Aufmerksamkeit, das Wesen dieser Bilder zu erkennen, die aus einer Welt kommen, deren Prinzipien für uns unbegreiflich sind. Das Familienleben wird auf ein Minimum reduziert, das Kind bereits steht im Dienst des Staates, der sogenannte böse Gedanke wird durch die Parole junger Pioniere totgeschrien.
Unter äußerem und innerem Druck wird die Industrialisierung rascher vollzogen als sie jemals in irgendeinem Land vorher vollzogen werden konnte. Jedes Projekt ist ein Massenprojekt! Der Mensch ist zu einem nur in der Addition verwertbaren Zahlbegriff herabgesunken.
Kultur heißt hier Produktion! Im Jahr zweitausend will man in China die Stahlindustrie Amerikas überflügeln. Im Jahr zweitausend wird jeder zweite Mensch ein Chinese sein. Und der junge Chinese ist heute schon ein perfekter, tadellos funktionierender Mensch. Ein Problem, das uns noch oft beschäftigen wird.
Ein Thema jedoch, das uns besonders brennend interessierte, war der ungeheure kulturelle Aufstieg der Menschheit.
Nachdem man sich offensichtlich darüber einig war, daß unser Erdball keine lohnenden Aufgaben mehr zu bieten hat, wurde mit der Eroberung des Weltraums begonnen.
Im Rückblick scheint das Jahr 59 ein einziges Hymnus auf die Triumphe der Techniker und Ingenieure zu sein. Die Erde von Satelliten umkreist, der Mond von einer Rakete getroffen und die ersten Versuchskreaturen auf der Probefahrt zur Venus. Mit der Anziehungskraft der Erde ist es anscheinend für immer vorbei.
Und wenn wir nun von unserer Mondeskapade wieder zurückkehren auf die Erde und in unsere Gesichter sehen, dann bleibt nur noch die Frage, ob es uns gelingen wird, mit dieser Gegenwart und ihren Problemen fertig zu werden. Denn eines ist sicher: Der Mensch von heute, für den der Mond zum Raketenziel geworden ist, ist ein anderer als der Mensch vor 200 Jahren, für den der Mond Objekt einer liebevollen, fast andächtigen Betrachtung war. Aber vielleicht ist auch das schon wieder ein menschlicher Irrtum.