Bremen-Bericht:
Eine Stadt provoziert sich selbst
Kamera: Rieck
Domotechnica '75/Köln
Kamera: Luppa
Entführung von Peter Lorenz Berlin
Kamera: Pahl, Brandes
Anfang und Ende
Gesamtlänge
Dabei-Stadtbild: Bremer Provokation
Eine Stadt macht Schluss mit Vorurteilen. Bremen wendet sich gegen die Märchenerzähler: Wahr soll bleiben, was wahr ist. Der Bremer Esel stand immer oben, und der Hund natürlich unten. Über den Bremer als Menschen sozusagen, existieren auch merkwürdige Verstellungen: Stur - steif - und stolz. Aber das sagen nur Leute, die noch nie in Bremen waren. Bremen - wo liegt denn das? An der Weser natürlich, und sonst - trostlose Gegend da oben, meinen die im Süden, und wissen nicht, dass man hier einen besonderen Weitblick entwickelt hat. Wer behauptet, es gäbe überhaupt keine Berge, der irrt sich - es gibt kleine Erhebungen - und die berühmten Bremer Elftausender - die Wolkengebirge. Eine der dreistesten Behauptungen: die sind doch hinterm Mond, da in Bremen - richtig müsste es heissen: die sind auf dem Wege zum Mond, mit Spacelab nämlich, dem ersten europäischen Weltraumlaboratorium. Ach, Bremen, sagen Wieder andere, das hat doch überhaupt keine Zukunft, wenn man die Typen so sieht - wenig Aussichten. In Wirklichkeit ist es aber das kinderreichste Land der Bundesrepublik. Bremen, also eine Stadt, die ständig guter Hoffnung ist. Aber es wimmelt nur so von böswilligen Unterstellungen: die da oben können doch nur Kaffee rösten, die Bohnenzähler. Wer weiss schon, dass jede zweite Tasse, die in der Bundesrepublik getrunken wird, aus Bremen kommt. Feinschmecker dagegen gäbe es nicht in Bremen, behauptet man, - was die so essen - Montags Fisch, dienstags Fisch, mittwochs Fisch, donnerstags Fisch, freitags Fischsuppe, sonnabends Fisch, sonntags Fisch und so weiter. Und so weiter. Kein Wunder, wenn man am grössten Seefischmarkt Europas liegt. Noch so ein Missverständnis: Klock Acht gehen da die Lichter aus, beisst es, kein Frohsinn, Kein Vergnügen, wer lachen will, geht erstmal in den Keller, Stur, steif und stolz - da ist nie was los - das Image der Hansestadt wäre endgültig besiegelt, würden sich nicht immer wieder alle Besucher so richtig sauwohl fühlen in der Stadt an der Weser.
Dabei-Messe: domotechnica
Domotechnica 75. Auf der Internationalen Messe für Haushaltsgross- und Elektrokleingeräte in Düsseldorf übten sich die Hersteller in Bescheidenheit. Die Absatzflaute bei Haushaltsgeräten wird nach allgemeiner Ansicht frühestens in Sommer in einen neuen Aufschwung übergehen. Mit technischer Perfektion und pfiffigen Einfällen versucht die Branche derweil, der erhofften Tendenzwende nachzuhelfen. Als leistungsstarker Hausgehilfe empfiehlt sich dieser neue Klopfsauger. Der Papierfilter im grossen Staubbeutel kann schnell ausgewechselt werden. Das Gerät saugt, bürstet und klopft in einem Arbeitsgang und kann auf jede Teppichflorhöhe eingestellt werden. Weniger als ein Pfund wiegt diese Luftkissenhaube mit zwei Temperaturstufen. Stillsitzen muss man während der Trockenzeit nicht. Der lange Zuleitungsschlauch lässt genügend Bewegungsfreiheit. Auch bei den Grossgeräten strebt die Industrie nach mehr Perfektion. Liebhaber eisgekühlter Drinks sind künftig aller Nachschubsorgen ledig: eine Kühl-Gefrier-Kombination mit eingebautem Eiswürfelbereiter füllt die grosse Vorratsschale kontinuierlich auf. Der saubere Abschluss mit Wand- und Sockelleiste macht die neue Baureihe auch für penible Hausfrauen attraktiv. Kochen wie ein professioneller Küchenchef noch der neuen Heissluftmethode. Im Convectomat-Elektrohord wird mit heisser Luft gekocht, gebraten, gegrillt. Ein Hochleistungsgebläse an der Rückwand verteilt die Wärme gleichmässig im Backraum. In diesen Gerät mit Wählautomatik können verschiedene Gerichte gleichzeitig bereitet werden, ohne dass Geruch übertragen oder der Geschmack beeinträchtigt wird. Neues auch von der Waschmaschinenfront. Bedienungskomfort hat absoluten Vorrang: Gerüche schluckt die eingebaute Dampfkondensation, Wasch- und Pflegemittel werden auf der Türinnenseite eingefüllt, die gesamte Steuerelektrik ist herausziehbar und damit servicefreundlich. Die Heizkugel 2000 - ein Heizlüfter, der in Düsseldorf Premiere hatte: 3-Stufenschaltung bis 2000 Watt und so konstruiert, das er immer wieder in seine Standposition zurückfällt. Die preise - so hiess es in Düsseldorf - werden nur mässig steigen.
Dabei-Politik: die Entführung
Ein Kandidat und sein Wahlkampfmotto, das unversehens in den Rang eines staatspolitischen Appells aufrückte. Ein Gegenkandidat und seine Warnung, die sich an ihm selbst erfüllte: Peter Lorenz, CDU-Landesvorsitzender von Berlin, wurde das erste Opfer einer politischen Geiselnahme in der Bundesrepublik. Sein Konkurrent blieb ratlos und entsetzt zurück - und nicht nur er: 60 Millionen Bundesbürger-erlebten in hilflosem Zorn, wie eine Handvoll linksradikaler Gangster Staatliche Macht und Autorität verhöhnte. Die Entführung von Peter Lorenz - nur einige hundert Meter von seinem Wohnhaus entfernt - trug die Handschrift politkrimineller Profis. Zwar fand die Polizei schnell den Dienstwagen des CDU Vorsitzenden und auch die Autos, mit denen die Täter aus dem Umkreis der Baader-Meinhof-Bande den Überfall verübten. Aber sie selbst und die Geisel blieben unauffindbar. Wenige Stunden nach Beginn der Fahndung trafen die Forderungen der Entführer ein: Freilassung von sechs verurteilten Anarchisten gegen das Legen von Peter Lorenz. Krisenstäbe wurden in Berlin und Bonn gebildet, Entscheidungen getroffen, an denen alle massgeblichen Politiker der Bundesrepublik beteiligt waren.
Reporter: Wie stellt sich für Sie die Situation dar? Biedenkopf: Ich möchte jetzt zu den Beratungen und der Situation nichts sagen, um die weitere Entwicklung nicht zu gefährden.
Auf der Gegenseite: die Juristen der Anarcho-Sozialisten in Aktion. Rechtsanwalt Schily berät seinen Ex-Kollegen und Mandanten Horst Mahler. Im Fernsehen distanzieren sich dann das KPD-Mitglied Mahler und zunächst auch die Anarchistin Kröcher-Tiedemann von der Terroristengruppe 2. Juni.
Mahler: In der sich weltweit zuspitzenden Krise des Imperialismus nehmen diese Massenkämpfe sprunghaft in allen Bereichen zu. Die Strategie des individuellen Terrors ist nicht die Strategie der Arbeiterklasse.
Kröcher-Tiedemann: Ich möchte jetzt bekunden, dass ich nicht damit einverstanden bin, nach Berlin geflogen zu werden und gegen Lorenz ausgetauscht zu werden.
Die Entscheidung ist gefallen: der Rechtsstaat beugt sich den Terroristen. Mit den fünf Austauschanarchisten rüstet sich auch der Pastor und frühere Bürgermeister Albertz für den Flug in ein noch unbekanntes Land. Ihn hatten die Geiselnehmer als Reisebegleiter gefordert. Das deutsche Fernsehen überträgt - wie von den Lorenzentführern gefordert - die Abreise der Anarchisten. Eine Stunde nach Ablauf ihres Ultimatums besteigen die fünf auf dem Frankfurter Flughafen die bereitgestellte Boing:
Verena Becker - rechts, Bombenlegerin, zu sechs Jahren Haft veruteilt, ihr folgen Rolf Pohle und der Bankräuber Rolf Heissler, der erst im Gefängnis Kontakt mit Baader-Meinhof-Mitgliedern hatte. Pohle, mit schulterlangem Haar, war der Waffenbeschaffer der Baader-Meinhof-Bande. Dem gehbehinderten Albertz hatten die Anarchisten den Wunsch abgeschlagen, seinen persönlichen Referenten mitzunehmen. Fluchtpunkt Frankfurt: diesmal entschied sich der Rechtsstaat gegen die Staatsräson und für das Beben des Entführten. Nach dem Schock ist in der Bundesrepublik eine heftige Diskussion entbrannt, Welche Antwort der Staat auf künftige politische Geiselnahmen geben soll.