Jahresruckblick
1962 Das Jahr der Versöhnung Freundschaft
zwischen Frankreich und Deutschland Adenauer und de Gaulle Bilanz eines europäischen Jahrhunderts (Inhalt siehe Sprechertext)
Jahresrückblick 1962
Das Jahr der Versöhnung
Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland
de Gaulle und Adenauer
Das Jahr der Versöhnung
1962 war das Jahr der deutsch-französischen Versöhnung. Es gibt für uns in diesem Jahr nichts Bewegenderes als dieses Ereignis. Und eines Tages, wenn man dieses Jahr im Licht einer überzeitlichen Betrachtungsweise widerspiegeln wird, wird es vielleicht als bedeutendstes Ereignis in der europäischen Geschichte gelten. Unser Rückblick auf das Jahr 62 ist daher ein Rückblick auf den 2. Juli. An diesem Tag kam Bundeskanzler Dr. Adenauer zu einem offiziellen Staatsbesuch nach Paris.
Frankreich brachte dem unermüdlichen Vorkämpfer für ein vereintes Europa Achtung, Anerkennung und Sympathie entgegen. Zum ersten Mal in der Geschichte der beiden Völker wurde ein deutscher Politiker mit so herzlichen Worten empfangen. (Originalton)
"Herr Bundeskanzler, Sie sind in Frankreich sehr herzlich willkommen". Diese Worte waren möglich, obwohl die deutsch-französische Vergangenheit mit Krieg und Feindschaft schwer belastet war. Die Erinnerung an 70/71 ist in dieser Generation nicht mehr lebendig, aber sie stand in den Geschichtsbüchern wie eine ständige Aufforderung zur Revanche. Wir haben uns nicht bemüht herauszufinden, wieviele Opfer die Kriege auf beiden Seiten gekostet haben. Aber die Frage nach dem Sinn dieser Opfer findet ihre Antwort in dem denkwürdigen Ereignis vom 3. Juli in Paris auf den Champs Elyseé, - Erst am Grabmal des "Unbekannten Soldaten" bekamen die Worte des Bundeskanzlers, die er vor Jahren an das deutsche Volk gerichtet hatte, ihr volles Gewicht: "Wir dürfen nicht vergessen, damit die anderen vergessen können." - Der erste Weltkrieg, in dem die Kraft und die Leidenschaft der beiden Völker gegeneinander tobten, vergrösserte die Kluft, die jetzt von den Enkeln dieser Soldaten nur noch als tragisches Mißverständnis empfunden wird. Die Mahnung der Grabreihen, die damals zurückblieben, war - so scheint es heute - noch nicht deutlich genug. - Die Unterzeichnung des Friedensvertrages im Schloß von Versailles brachte eine Friedensregelung, die den Zündstoff für neuen Unfrieden in sich barg. Die militante Erfüllungspolitik der Franzosen in Elsass und Lothringen schuf nationale Ressentiments. Die Gemeinsamkeit, die Frankreichs Aussenminister Briand und seinem deutschen Kollegen Stresemann damals versagt blieb, dieser Triumph war Konrad Adenauer und Charles de Gaulle Vorbehalten. Die "Stunde der Wahrheit" hat de Gaulle den Augenblick genannt, als er im Elyseé-Palast mit mutigen Worten ein neues Gesichtsbild entwarf. "Auch die Kriege", so sagte er, "gehören zum Traum von der Einheit Europas, der seit Jahrhunderten in den Seelen der Menschen unseres Kontinents umgeht." - Einer der unbeirrbaren Weggefährten Konrad Adenauers war von Anfang an André Francois Poncet, der als einer der ersten an eine Verschmelzung der beiden Kulturen dachte.- In einem Landstrich, der angefüllt ist mit Geschichte und Bitterkeit, findet 17 Jahre nach Kriegsende eine Parade statt. Auf dem ehemaligen Schlachtfeld von Mourmelon, dort wo Blut und Tränen die Erde verbrannt haben, paradieren deutsche und französische Truppen gemeinsam vor Bundeskanzler Adenauer und Staatspräsident de Gaulle.
Niemand, der dabei war, konnte sich der Größe dieses Augenblicks entziehen: Deutsche Soldaten neben französischen Soldaten. Viele waren darunter, die 22 Jahre zuvor auf Befehl Hitlers in ein Land marschierten, das auf den deutschen Überfall nicht vorbereitet war. Die deutsche Offensive führte im Juni 1940 zur kampflosen Besetzung von Paris. Wie durch ein Wunder blieb die alte europäische Metropole fortan verschont. Gegen den Befehl Hitlers hat der deutsche Stadtkommandant von Choltiz Paris vor der Vernichtung gerettet. Im Juni 44 kündigte der Kanonendonner der Alliierten-Invasion an der Küste der Normandie das Ende des 2. Weltkrieges an. Am 7. Mai 1945 kapitulierten die deutschen Truppen in Reims. Unter dem ewigen Lächeln des Engels von Reims in der Krönungskirche der französischen Könige erlebt der deutsche Bundeskanzler 17 Jahre später die Krönung seines politischen Lebenswerkes. Der Jubel der Chorsänger verleiht dem Besuch einen ergreifenden Schlussakkord. Für den Bundeskanzler ist es ein tief bewegender Augenblick. Ein französischer Diplomat sagte: "Um die Grösse Adenauers zu begreifen, muss man so groß sein wie er".
Sympathien, wie sie bisher keinem ausländischen Staatsmann zuteil wurden, kennzeichnen den Gegenbesuch de Gaulles in Deutschland. Am 4. September 62 betrat zum ersten Mal in der Geschichte ein französischer Präsident als offizieller Gast deutschen Boden. Bereits die Begrüssung auf dem Flugplatz machte es deutlich: de Gaulle kam als Freund zu Freunden. (Originalton) "Es lebe die Bundesrepublik Deutschland! Es lebe die deutsch-französische Freundschaft." - Der über Erwarten stürmische Beifall, der de Gaulle von nun an auf seiner via triumphalis durch die Bundesrepublik begleiten sollte, trug alle Anzeichen einer Volksabstimmung. Deutschlands Bevölkerung, die 17 Jahre lang mißtrauisch gegen jede Form nationaler Begeisterung war, liess ihren Gefühlen freien Lauf. Es gehört zu den erstaunlichen Tatsachen der jüngsten politischen Entwicklung, dass es eines Franzosen bedurfte, um den Deutschen des Jahres 1962, der sich immer noch zwischen Traum und Trotz bewegt, die Würde des nationalen Selbstbewusstseins wiederzugeben. - (Originalton) "Wenn ich Sie alle so um mich herum versammelt sehe, wenn ich Ihre Kundgebungen höre, empfinde ich noch stärker als zuvor die Würdigung und das große Vertrauen, das ich für Ihr großes, jawohl, das ich für das große deutsche Volk hege!" - Der Mann, der es wagte, Deutschland als Nation mit einer unteilbaren Geschichte anzusprechen, war Soldat zweier Weltkriege, in denen er mit einem Patriotismus ohnegleichen gegen Deutschland gekämpft hat! Der Brigadegeneral Charles de Gaulle bildete 1940 in London das Nationale Komiteé der freien Franzosen und forderte die Befreiung Frankreichs: (Originalton) "Wir hoffen, dass wir eines Tages mit Hilfe einer höheren Macht in der Lage sind, den Sieg zu erringen. "- Die Härte und der Wille zur Unbezähmbarkeit, die von ihm ausgingen, liessen de Gaulles zum Symbol des Widerstandes der französischen Nation werden. Nach der Befreiung von Paris am 25. August 1944 wurde er als Retter der Nation gefeiert. Mit der Gelassenheit eines Mannes, für den der Sieg eine Selbstverständlichkeit war, nahm er die Ovationen hin. Seine geschichtliche Mission schien damit erfüllt. Aber die Geschichte geht seltsame Wege. Aus dem Feldherrn wurde der Staatsmann. ---- 18 Jahre vergingen, ehe der Staatsmann Charles de Gaulle auf dem Odeonsplatz in München einen Schlußstrich unter die Vergangenheit zog. Er reichte den Versehrten, die in zwei Weltkriegen gegen Frankreich gekämpft hatten, die Hand und legte am Grabmal des "Unbekannten Soldaten" einen Kranz nieder. "Die Ehr-Erbietung, die sich die Tapferen entgegenbringen, gehört zu den sittlichen Grundlagen des Menschengeschlechts." - Ein Wort von de Gaulle. --- Überall in Deutschland streckten sich dem französischen Präsidenten die Hände entgegen. Die Begeisterung und der Jubel haben den mehr evolutionären als revolutionären Wandel in der Beziehung unserer beiden Völker plötzlich fassbar und anschaulich gemacht. Für seine deutschen Zuhörer mag es das größte Erlebnis gewesen sein, wie de Gaulle sein Pathos, das aus den Tiefen unwandelbarer Überzeugung kommt, in ihre eigene Muttersprache übertrug: (Originalton) Wann immer in der Zukunft von großen geschichtlichen Ereignissen die Rede sein wird, wird man die Namen Adenauer und de Gaulle nennen und das Jahr 62.